Hinterm Horizont

Udo Lindenberg rockt den Kiez

Ich kann nicht über Udo Lindenbergs „Hinterm Horizont“ schreiben, ohne an meine eigene Geschichte zu denken. Damals, Anfang 1990, hatte die Wende zwar schon stattgefunden, aber die DDR existierte noch.

Und mit ihr die Scheinwerfermasten, die Maschinenpistolen und die kläffenden Hundemeuten in ihren Zwingern. Ich kam mir immer vor wie James Bond persönlich, wenn ich - oft mitten in der Nacht - irgendwo in der Pampa bei Eisenach über die Grenze fuhr. Eigentlich hatte ich ja nichts zu verbergen, aber trotzdem war da immer dieses mulmige Gefühl, wenn der Grenzsoldat oft minutenlang mit meinem Reisepass in seinem Kabäuschen verschwand. Ich erinnere mich an ein Mädchen, das zwar nicht aus Ostberlin, aber aus Erfurt kam und in das ich mich gegen jede Vernunft unsterblich verliebt hatte, an freudige Wiedersehen und herzzerreißende Abschiede. Und an die Stasi. Die funktionierte - wie ich später erfuhr - auch 1990 noch tadellos, und ich als (wenn auch blutjunger) Journalist war ja per se schon verdächtig. Ausspioniert von jemandem, den ich für einen meiner besten Freunde gehalten hatte. Hinterm Horizont

Das kann man eigentlich nur nachvollziehen, wenn man - wie ich - mittendrin dabei gewesen ist, den ganzen Wahnsinn live und in Farbe miterlebt hat. Und deshalb bin ich Udo Lindenberg für „Hinterm Horizont“ wirklich dankbar. Er war - wie wir alle wissen - ebenfalls mittendrin dabei, aber ihm ist das Kunststück gelungen, das Ganze tatsächlich auf die Bühne zu bringen und (mit typischem Augenzwinkern) für alle die greifbar zu machen, die es eben nicht selbst erlebt haben. Insofern tue ich mich schwer damit, „Hinterm Horizont“ als Musical zu bezeichnen. Es ist sehr viel mehr als das. Udo hat auf eine sehr persönliche Art und Weise ein Stück deutsch-deutscher Geschichte festgehalten, untermalt mit Songs, die nicht nur das Lebensgefühl von damals unterstreichen, sondern auch dem Zeitgeist entsprechen: Genau das haben wir zu der Zeit gehört in Ost und West, und die späteren Lindenberg-Songs fügen sicht nahtlos ein. Wie autobiographisch das Ganze denn nun tatsächlich ist, bleibt hingegen Spekulation. Jetzt hat das Mädchen aus Ostberlin „´rübergemacht“, wie das damals in der DDR hieß. Nach Hamburg. Und Udo Lindenberg wäre wohl nicht er selbst, wenn er die Gelegenheit nicht genutzt hätte, um die Geschichte weiter zu erzählen - zum Finale trifft man sich nun im „Atlantic“ und zieht weiter auf den Kiez: „Reeperbahn, ich komm an. Du geile Meile, auf die ich kann!“ Und, richtig: „Hinterm Horizont“ ist nicht nur eine Art „Geschichtsstunde“, es ist auch - und vor allem - verdammt unterhaltsam. Rockende Stasi-Funktionre hätten der realen DDR sicherlich auch gut getan. Um nur eine der schrägen Szenen zu erwähnen. Aber das hat man von Udo Lindenberg ja auch nicht anders erwartet. Hinterm Horizont

So gab es bei der Premiere im Opetettenhaus am Spielbudenplatz wohl nur einen, der ein wenig traurig war: Hauptdarsteller Serkan Kaya hatte sich bei den Proben verletzt. Zum Glück nicht schwer, aber doch so ernsthaft, dass er bei der Premiere noch nicht wieder auf der Bühne stehen konnte - für ihn trat Alex Melcher als Udo Lindenberg auf. Der Meister selbst war´s zufrieden: „Knallt los. Mein Lindical ist jetzt da wo es hingehört, yeah“. Das sah  Olivia Jones genauso: „Als offizielle Bürgermeisterin vom Kiez heiße ich Udo willkommen!“ Überhaupt lief es auf dem roten Teppich nicht ganz so ernsthaft ab wie sonst. Sängerin Vicky Leandros ließ es sich nicht nehmen, ein paar Züge aus Udos Zigarre zu nehmen, Olivia Jones schwang das Tanzbein, Udos alter WG-Kumpel Otto Waalkes schaute vorbei, Eddy Kante, die Tagesschau-Sprecher Dagmar Berghoff und Wilhelm Wieben (er ist sich immer treu geblieben!),Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz mit Gattin Britta Ernst, Ex-HSV-Trainer Bruno Labbadia, Klaus und Ilona Baumgart (genau - der „große Klaus“ von „Klaus & Klaus“), Koch Christian Rach, Schauspieler Wolfgang Fierek, Boxerin Susi Kentikian, Sportmoderator Gerhard Delling und, und, und. Kurz: Das Publikum war ebenso bunt wie die anschließende Show. Und wie hat diese gefallen? Profitänzerin Christine Deck war (wie auch das übrige Publikum) restlos begeistert: „Mir haben natürlich die Tanzszenen besonders gut gefallen“, sagt Christine Deck, „und dann natürlich Udos Songs. Es ist wirklich toll und keine Sekunde langweilig gewesen!“

Bleibt noch die Frage, was aus dem eingangs erwähnten Mädchen aus Erfurt geworden ist. Nun, wir waren immerhin 17 Jahre verheiratet... 

Story: Markus Becker

Fotos: Andreas Bonné, Tine Acke / Stage

 

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