Die Beatles 1966 in Hamburg

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Von den Rolling Stones lernen heißt siegen lernen. Das dachte sich zumindest die Hamburger Polizei an diesem 26. Juni 1966. Denn die Stones-Fans hatten rund ein Jahr zuvor die Berliner „Waldbühne“ zerlegt, und das Fazit war klar: „Wahrlich:

Härte ist am Platze“ - so der „Weser-Kurier“ vom 21. September 1965 - „was sich nicht einfügen will in die Gesellschaft, dem muss man mit Güte oder Nachdruck, am besten mit beidem, beistehen, damit es sich einfügen lernt. Mit drakonischen Strafen, mit Verhaftungen, mit Wasserwerfergüssen ist´s allein freilich nicht getan, wenn die Erziehung versagt...“ Und so glich an diesem schönen Sommermorgen der Bereich zwischen Dammtorbahnhof und Planten un Blomen einer Festung, denn die „Fab Four“, die Beatles, hatten sich im Rahmen ihrer Blitztournee in Hamburg angesagt. 

Tags zuvor hatten die vier Liverpooler noch in Essen zwei Konzerte gegeben und waren dann mit dem Sonderzug nach Ahrensburg gereist, wo sie um 5 Uhr 30 morgens eintrafen. Von dort aus ging´s mit Polizeischutz wie beim Staatsbesuch im Autokorso ins Schlosshotel Tremsbüttel, wo sich die Beatles erstmal schlafen legten.

Während John, Paul, George und Ringo an der Matratze horchten, trudelten in vier Sonderzügen (von der Bahn höchst kreativ auf die Namen der vier Beatles getauft) Fans aus der ganzen Republik in Hamburg ein. Die Karten hatte man vorher zum Preis von 10, 12, 15, 18 oder gar 20 DM im Vorverkauf erworben. Nicht ganz billig wenn man bedenkt, dass der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer damals 824 DM brutto im Monat verdiente. Aber für die Beatles scheuten die Fans halt weder Kosten, noch Mühen...

Doch zurück nach Tremsbüttel! Dort klingelten um 13 Uhr 30 in den Zimmern 10 und 27 die Wecker, und sofort brach Hektik aus. Nicht nur, weil die Beatles „spätstücken“ wollten (was ist ein Brite ohne sein Breakfast??) - ein Bargteheider Arzt checkte auch noch zwischendurch die Stimmbänder der Vier, und um 15 Uhr musste die Band schon der Presse in der Ernst-Merck-Halle zur Verfügung stehen. Ein verdammt enger Zeitplan also! Davon wussten die Fans, die geduldig vor der Mauer des Schlosshotels ausharrten, natürlich nichts, und um 14 Uhr 30 wurde ihre Geduld belohnt: Die Beatles zeigten sich in gebührender Entfernung auf dem Balkon. Ganze 45 Sekunden lang...

In Hamburg herrschte unterdessen der Ausnahmezustand. Berittene Polizei riegelte am Dammtor alles ab und leistete sich dabei eine gepflegte Paranoia: Beatles-Manager Brian Epstein wurde nicht durchgelassen – er konnte keine Karte vorweisen. Seine Identität musste erst durch einen Boten zweifelsfrei nachgewiesen werden. Die Beatles hatten die Sicherheitskräfte immerhin erkannt (oder sie waren im Besitz von Eintrittskarten für ihr eigenes Konzert!?) und so gab die Band pünktlich um 15 Uhr die erste ihrer geradezu legendären Pressekonferenzen (die zweite war für 19 Uhr angesetzt). „Legendär“ deshalb, weil die Beatles zu diesen (trotz anders lautenden Gerüchten) ziemlich spießigen Zeiten geradezu außergewöhnlich locker waren. Hier nur zwei Kostproben: "Die Anti-Baby-Pille? Eine feine Sache. Alle sollten sie nehmen" – Paul McCartney.
"Cassius Clay ist der Größte, aber ich bin auch ganz dufte" – Ringo Starr. Für 1966 waren solche Sprüche geradezu „revolutionär“ und sorgten für heftiges Geraschel im Blätterwald. Während die Beatles also die Presse unterhielten, lief auf der Bühne bereits das Vorprogramm der „Kindervorstellung“, wie die Beatles ihre Nachmittagsshow durchaus zutreffend nannten. Los ging´s mit The Rattles, die mit  "Love of my Life" und "Come on and sing" Stimmung in die Halle brachten. Frontmann Achim Reichel hatte einen ausgesprochen guten Draht zu den Fans, und so wurde heftig gefeiert. Wesentlich schlechter erging es dem nächsten Act,Cliff Bennet and the Rebel Rousers. Das Publikum war absolut uninteressiert und unterhielt sich. Bei der Abendshow forderte man gar "Aufhören!"… Da brauchten sich Peter und Gordon, die anschließend auf die Bühne kanen,  keine Sorgen zu machen. Denn der rothaarige Peter Asher galt als „kleiner Beatle“, war doch seine schöne Schwester Jane mit Paul McCartney liiert. Und der hatte sich nicht lumpen lassen und hatte seinem „Beinahe-Schwager“ und dessen Kumpel Gordon Waller mit „A World Without Love“, „Nobody I Know“, „I Don´t Want To See You Again“ und vor allem dem brillanten „Woman“ gleich eine ganze Reihe von Hits auf den Leib geschrieben. Begeisterung, Jubel, Applaus.
Aber das geht noch besser:16.27 Uhr: Die Beatles entern die Bühne – und schlagartig steht die gesamte Halle Kopf. Na ja, fast: Der damalige Innensenator Helmut Schmidt sitzt mit Ehefrau Loki ebenfalls im Publikum und bleibt natürlich etwas cooler. „Es ist wunderschön bei Ihnen in Hamburg", begrüßt Paul die Fans auf deutsch. Während ihres halbstündigen Auftritts spielen die Beatles die Titel „Rock And Roll Music“, „She's A Woman“, „If I Needed Someone“, „Day Tripper“, „Baby's In Black“, „I Feel Fine“, „Yesterday“, „I Wanna Be Your Man“, „Nowhere Man“, „Paperback Writer“ und „I'm Down“. Elf Titel in 30 Minuten – das ist auch in Zeiten, in denen eine Single im Schnitt um die 2 Minuten 30 lang ist, eine Art „Hits im Schweinsgalopp“. Was vermutlich damit zusammenhängt, dass sich die Band beim Lärm des Publikums selbst nicht hören kann... 

Bei der 19-Uhr-Show dann das gleiche Procedere. Okay, für  Cliff Bennet and the Rebel Rousers lief´s – wie schon erwähnt – noch ein bisschen schlechter. Aber ansonsten alles wie gehabt. Mit einer Ausnahme: Ein echter Freund der Beatles saß nicht im Publikum, sondern im Knast: „Ob die Beatles während ihres Konzerts wenigstens einmal an mich denken? Sie haben bestimmt Verständnis für meine Lage“, schreibt Horst Fascher in seinen Memoiren, „einen Tag nach dem Beatles-Konzert in der Ernst-Merck-Halle bekomme ich Besuch. Es ist mein kleiner Bruder Fredi. Ich will natürlich alles ganz genau wissen. Wie sie aussahen, welche Lieder sie gesungen haben und vor allem ob sie sich nach mir suchend im Publikum umgeschaut hätten. „Viel besser“, meint Fredi freudestrahlend, „sie haben dir ein Lied gewidmet!“ „Und... und was haben sie genau gesagt? Und wer von ihnen hat die Ansage gemacht?“, sprudelt es aus mir heraus. Es war John, der sagte: „Der nächste Song ist speziell für unseren alten Hamburger Freund Horst Fascher, der heute leider nicht hier sein kann...“ Als Fredi das sagt, muss ich erst leise lächeln, aber dann kommen doch die Tränen.“

Weniger gefühlvoll geht es währenddessen rund um den Dammtorbahnhof zu. Die Polizei glaubt, einige „Randalierer“ in der Menge vor dem Bahnhof erkannt zu haben und beschließt, das Gelände aus Sicherheitsgründen zu räumen. Als die Menge der Aufforderung nur sehr zögerlich bis gar nicht folgt, beschließt man – dem Sicherheitskonzept folgend – hart durchzugreifen. Die Sicherheitskräfte setzen berittene Polizei und Wasserwerfer ein. Am Ende des Tages sind auf der Mönckebergstraße mehrere Schaufenster zu Bruch gegangen und 117 Personen wurden festgenommen, von denen später ganze elf (!!) tatsächlich vor dem Richter landen. Die Beatles kriegen von alledem nichts mit – sie fliegen am Montag, dem 27. Juni 1966, um 16.05 Uhr mit Japan Air Lines von Fuhlsbüttel nach Tokio. Es sollte der letzte Auftritt der Beatles in Deutschland gewesen sein. Aber das konnte damals noch keiner ahnen – nicht einmal die Beatles selbst.

Story: Markus Becker

 

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