Udo Lindenberg

Udo Lindenberg: In Hamburg spielt ´ne Rentnerband...

In einem Alter, in dem andere Menschen im Park die Enten füttern, hat Udo Lindenberg einen Status erreicht, der nur wenigen Rockmusikern vergönnt ist: Er wird geliebt. Nicht verehrt – wie so manches musikalische PR-Produkt aus den Staaten – sondern geliebt.

Er ist einer, der – wie er selbst sagt - „von der Straße kommt“, einer, der allabendlich ´rausgeht auf die Bühne, um mit seinem Publikum zu feiern und nicht, um sich huldigen zu lassen. Einer, der sein Leben als Rockstar genießt, ohne deswegen mit der unvermeidlichen Sylvie Meis im Arm bei irgendeiner Promi-Party für die Paparazzi zu posieren. Und vor allem ist er keiner, der sich hinter den hohen Mauern einer teuren Villa und einem Heer von Bodyguards vor dem Leben versteckt. Im Gegenteil: Wer hin und wieder im Hamburger Hotel „Atlantic“ zu tun hat, wird ihm schon begegnet sein. Da sitzt er dann mit seiner Zigarre an der Bar oder auch ´mal im (ziemlich eleganten) Vorraum der Herrentoilette und schaut, was sich im „weißen Schloss“ gerade so abspielt. Wenn er erkannt wird, ist immer Zeit für ein paar Worte oder ein Selfie, alles ganz entspannt. Und mit dem typischen „Udo-Genuschel“, über das sich die Kollegen in den Feuilletons schon seit Jahrzehnten mokieren. Doch genau das ist der Punkt: Der Mann ist absolut authentisch. What you get is what you see. Und zwar 1:1. Udo Lindenberg ist keiner, der sich verbiegt, um die Charts zu stürmen oder den Medien zu gefallen. Ein Lichtblick in einer Zeit, die ansonsten statt von Sex, Drugs & Rock ´n ´ Roll von Lactoseintoleranz, veganem Leben und Helene Fischer geprägt ist. Udo Lindenberg Tournee2016

Wobei es eine lange Zeit überhaupt nicht nach Lichtblick aussah, sondern vielmehr zappenduster. Nach den heute schon legendären Alben der 70er und den erfolgreichen 80er Jahren folgten in den 90ern Platten, denen selbst treueste Fans nicht viel abgewinnen konnten. Ein oder zwei Flops verzeiht die Musikbranche (schließlich haben auch die Stones schon deutlich bessere Alben als „Dirty Work“ abgeliefert...) aber – man verzeihe mir! - Schrott in Serie ist normalerweise tödlich... Aber Totgesagte leben bekanntlich länger! Das galt auch für Udo Lindenberg. Als ihn Medien und Fans schon weitgehend abgeschrieben hatte, meldete er sich 2008 mit „Stark wie zwei“ zurück. Wobei er das Album wohl besser mit „Stark wie nie“ betitelt hätte – denn genau das war es. Acht Jahre ist das Album inzwischen schon wieder alt und hat dennoch kein bisschen Staub angesetzt. Blieb die bange Frage, ob das eine einmalige Sache bleiben würde oder ob man so einen Geniestreich tatsächlich wiederholen kann. Seit April diesen Jahres ist auch diese Frage eindeutig geklärt: Ja, man kann! „Stärker als die Zeit“ steht seinem Vorgänger in nicht allzu vielen Dingen nach. Wobei der Albumtitel geradezu prophetisch gewesen ist. Das wird an diesem Abend im Hamburger Volksparkstadion klar. Elastisch wie eh und je (und mit 10 Minuten Verspätung, weil viele Fans noch im Stau standen) steht Udo auf der Bühne – kaum zu glauben, dass der Mann schon 70 Jahre alt sein soll. Aber auch an der „Panikfamilie“ scheint die Zeit spurlos vorübergegangen zu sein. Sowohl an der realen – Drummer Bertram Engel, Bassist Steffi Stephan und Gitarrist Hannes Bauer sind nach wie vor an Bord, „43 Jahre betreutes Rocken“, wie Udo sagt – als auch an der fiktiven: Der giftgrüne Außerirdische Gerhard Gösebrecht schaut (nachdem er 1974 das erste Mal gesichtet wurde) wieder auf der Erde vorbei, Johnny Controlletti – der berühmteste Pate seit Don Corleone – gibt sich die Ehre und selbst Bodo Ballermann ist noch frisch wie eh und je. Um die vierzig Jahre sind sie inzwischen alt – und machen immer noch Spaß. Dazu kommt (ebenfalls wie in den alten Tagen) eine ganze Menge Tänzerinnen, Komparsen und Chorkinder, streckenweise wirkt das Ganze eher wie eine Revue als wie ein Rockkonzert. Auch einer der wichtigsten Songs des Abends hat inzwischen schon seine 30 Jährchen auf dem Buckel, ohne (leider!!) an Aktualität eingebüßt zu haben: „Nein, sie brauchen keinen Führer, nein, sie können's jetzt auch alleine. Nein, sie brauchen ihn nicht mehr, diese neuen Nazi-Schweine. Und keine braune Uniform, die Klamotten sind jetzt bunt, doch die gleiche kalte Kotze schwappt ihnen wieder aus dem Mund...“ Recht hat er. Auch wenn es die Angesprochenen wohl kaum hören werden – die Vollidioten, die vor Asylantenheimen herumpöbeln, sind mit einiger Sicherheit keine Lindenberg-Fans. Doch nicht nur die vertrauten Songs, auch die Titel vom neuen Album – sechs haben es auf die Setliste geschafft – haben das Zeug, stärker als die Zeit zu werden. Dazwischen ein Bonbon:  „Highway To Hell“, das ja vor gar nicht langer Zeit schonmal im Volkspark gespielt wurde, da allerdings von AC/DC und Axl Rose. 

Udo Lindenberg Tournee2016Was war noch? Dass Udos alter WG-Genosse Otto Waalkes vorbeischaute, war beim Hamburger Konzert ja fast schon zu erwarten. Aber auch Stefan Raab (als Drummer nicht ganz so gut wie Bertram Engel oder auch der Meister selbst) und Helge Schneider kamen für Gastauftritte vorbei – was will man mehr? Apropos Gäste: Hamburgs 1. Bürgermeister Olaf Scholz wurde mit Gattin Britta Ernst im Publikum gesichtet, was eine gewisse Tradition fortsetzt: Helmut und Loki Schmidt waren seinerzeit bei den „Beatles“, aber dazu in Kürze mehr.

Ich war gerade ´mal ein Teenager, als Udo den ersten Teil seiner Karriere startete. „Ich bin beim Bund“ war meine Hymne, denn genau da war ich, als der Song herauskam. Und als ich – inzwischen Journalist – Udo um die Jahrtausendwende kennen gelernt habe, backstage bei einem absolut trostlosen Konzert in Wuppertal, mitten in seiner „schwarzen Phase“, hat mich das sehr berührt. Bin froh, dass er wieder zurück ist. Und unlängst angekündigt hat, bis 100 weitermachen zu wollen. Dann bin ich 82 und werde mit unser aller Panikpräsidenten mit ´nem Bier aus der Schnabeltasse anstoßen – im eleganten Vorraum des Männerklos im „Atlantic“.

Story: Markus Becker 

Fotos: Andreas Bonné

 

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