Ein kleiner Sänger

Von Hasenherzen und Hamburgern

Die Japaner – so heißt es – begehen Selbstmord, wenn sie das Gesicht verloren haben. Ihr wisst schon: Harakiri.Seit Donnerstagabend wissen wir, dass das auch umgekehrt geht: Der Sänger Andreas Kümmert hatte den nationalen Vorentscheid zum European Song Contest gewonnen, um mitten in Jubel und Applaus zu verkünden,

dass er nicht zum Wettbewerb nach Wien fahren wolle – er sei ja nur „ein kleiner Sänger“. Ein Karriere-Selbstmord, durch den der Sänger erst das Gesicht verloren hat. Denn wer sich wirklich nur für einen „kleinen Sänger“ hält, der singt zuhause in der Badewanne oder bestenfalls im besoffenen Kopf in irgendeiner Karaoke-Bar, aber er tritt nicht bei „The Voice Of Germany“, geschweige denn beim Vorentscheid für den ESC an. Und selbst wenn: Spätestens nach dem Sieg am Donnerstag hätte ihm klar sein müssen, dass er mit seiner Selbsteinschätzung gründlich daneben liegt. Nun kann man natürlich sagen, dass Andreas Kümmert halt bescheiden ist und nie mit seinem Sieg gerechnet hätte. Aber, sorry – wie naiv wäre das denn? Wenn ich das Ganze nicht gewinnen will – oder mir zumindest Chancen auf den Sieg ausrechne – macht es wenig Sinn, sich zu einem Wettbewerb anzumelden. Eins hat Andreas Kümmert aber immerhin erreicht: Er wird einem Millionenpublikum jetzt nicht als kleiner oder großer Sänger, sondern als „Hasenherz“, das seine Fans im Stich gelassen hat, in Erinnerung bleiben. Karriere-Harakiri mit immensem Gesichtsverlust.Ann Sophie

Aber wie meine Oma jetzt gesagt hätte: Wer weiß, wofür es gut ist! Denn die Hamburgerin Ann Sophie, die für unseren „Helden“ nachrückte, ist alles andere als „zweite Wahl“. Nachdem sie völlig überraschend zur Siegerin erklärt wurde – was sichtlich nicht spurlos an ihr vorüberging – trug sie ihren Song „Jump The Gun“ nochmals vor und brachte eine routinierte Performance: So geht professionell! Erstens. Und zweitens fühle zumindest ich mich (obwohl nicht mehr taufrisch) von einer coolen, jungen Frau mit ebensolchem Song besser repräsentiert als von einem Luftgitarrespieler, der mich irgendwie an Joe Cocker erinnert. Womit ich nichts gegen Joe Cocker gesagt haben will, aber das waren eben die 70er und nicht das Deutschland von heute. Und, nicht zu vergessen: Der „Eklat beim Vorentscheid“ - wie es die Kollegen vom Boulevard genannt haben – hat nicht nur hierzulande, sondern europaweit Schlagzeilen gemacht, den Namen Ann Sophie kennt man nun von Hammerfest bis Tel Aviv. Ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil im Contest der (noch!!) meist Namenlosen. Kurz: Wir gehen (wie es so schön in der Werbersprache heißt) mit einem „überzeugenden Gesamtpaket“ an den Start.

In diesem Sinne: Lieber Andreas Kümmert, falls wir uns eines Tages in der Karaoke-Bar von Oer-Erkenschwick begegnen sollten – Du hast bei mir ein Bier gut.

 

Story: Markus Becker

Fotos: Werner Emmerich, Michael Zargarinejad ( http://www.universal-music.de/andreas-kuemmert/bilder/detail/pic:9185_334686)

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