Büchner-Premiere in Köln

Gruppenkuscheln und Massenmord: Büchner-Premiere in Köln

Das Theater hatte es bei mir jahrzehntelang schwer. Was an meiner Schulzeit lag: Zuerst wurde ich mit sozialkritischen Problemstücken konfrontiert - „diskutiere mit deinem Nachbarn!“ - man schrieb halt die wilden 70er Jahre. Und später, im Deutsch-Leistungskurs, folgten dann die Klassiker von der griechischen Tragödie bis zum „Faust“.

Wer das hinter sich hat, geht für den Rest seines Lebens lieber ins Kino. Bis ich eine junge Schauspielerin – von der gleich noch ausführlicher die Rede sein wird – kennen lernte. Spontane Schauspiel- und Gesangseinlagen in ihrer Küche sowie unzählige Geschichten aus Schauspielerkreisen machten das Ganze für mich zum ersten Mal lebendig und greifbar. Tja, und so sitze ich nun im Kölner ARTheater, um der Premiere von Falk Richters „Büchner“ beizuwohnen. Laut Presse-Vorabinfo der Theaterakademie Köln „Hard Stuff“ für einen Theater-Novizen wie mich: Regisseur Daniel Schüßler begibt sich mit seinem Ensemble auf die „zeitgenössische Spurensuche nach dem politischen Dichter und Revolutionär Georg Büchner.“ Aha. Neben mir die scheinbar unvermeidliche, ganz in schwarz gewandete Dame undefinierbaren Alters und mit Intellektuellen-Brille, die so aussieht, als hätte sie einen Doppelnamen und könnte unglaublich schlaue Rezensionen schreiben, die außerhalb der elitären Welt der Kulturschaffenden kein Schwein versteht. Sowas brauche ich gar nicht erst zu versuchen. Doch nun zum Stück!Ensemble

Ich hatte in weiser Voraussicht – Büchner!! - vor der Premiere nochmal meine Kenntnisse in Sachen „Woyzeck“ aufgefrischt. Daran hatte ich gut getan, denn ohne die Vorkenntnis von „Woyzeck“ ist Falk Richters „Büchner“ nahezu unverständlich (eine Ansicht, mit der ich – wie ich bei der Premierenparty hörte – bei Weitem nicht allein stand). Aber so war ich für die Achterbahnfahrt, die sich auf der Bühne entwickelte, bestens vorbereitet. Wie bei einem schnell geschnittenen Musikclip reihten sich die Figuren und Schlüsselszenen aus „Woyzeck“ aneinander. Büchners Woyzeck ersticht am Ende seine Geliebte Marie, weil er in seiner sozialen Stellung gefangen war und daher ohnmächtig zuschauen musste, wie seine Welt völlig aus den Fugen geriet. Bei Falk Richter wird Woyzeck geradezu zum Massenmörder, doch wen oder was er auch immer umbringt – es stürzen immer neue Alpträume auf ihn ein. Kurz: Woyzeck ist in der Gegenwart angelangt. Dieses beklemmende Szenario bricht das Ensemble scheinbar, indem es von den Charakteren Woyzeck, Hauptmann, Marie und Doktor plötzlich auf die realen Schauspielernamen Jana Bange, Dominik Dworak, Jana Jungbluth, Christine Last, Pascale Laxy,Jan-Martin Müller und Marius Theobald „umschaltet“. Für einen Moment wird es lustig, wenn Marius Theobald zu den Klängen von Richard Sandersons „Reality“ (genau – das ist aus „La Boum, die Fete“!) das wohl peinlichste Liebesgeständnis aller Zeiten abliefert und sich wie ein Meerschweinchen dressieren lässt. Aber dann bleibt einem das Lachen im Hals stecken – die Geschichte des modernen Woyzeck wird dadurch nur auf einer anderen Ebene weiter erzählt. Bis, wie gesagt, in die tagesaktuelle Gegenwart. Von Angela Merkel über Donald Trump bis hin zu den „Wutbürgern“ weit rechts von der Mitte. Kurz: „Büchner“ ist ein sehr komplexes Stück, das den Zuschauer am Ende ein bisschen atemlos und sehr nachdenklich zurücklässt.  

Schauspielerisch kann und will ich niemanden hervorheben – für mich als Zuschauer war „Büchner“ eine grandiose Ensembleleistung – jeder der Akteure war während des gesamten Stücks auf der Bühne und trug gleichermaßen zum Gesamtbild bei. Wenn ich jetzt Christine Last namentlich erwähne, dann gilt das nur als Beispiel für die Leistung des gesamten Ensembles: Christine und ich sind seit Jahren befreundet und es gibt nicht viele Menschen, die mir so vertraut sind. Aber heute Abend stand nicht die vertraute Freundin auf der Bühne – heute Abend habe ich Büchners „Marie“ gesehen. Ich denke, wenn man selbst für enge Freunde die ist, deren Rolle man spielt, kann man als Schauspielerin nicht mehr sehr viel besser machen. Und wie gesagt: Dieses Kompliment steht stellvertretend für das gesamte Ensemble: Chapeau!!

Bleibt nachzutragen, dass ich mir gegen Ende des Gastspiels im ARTheater „Büchner“ wohl nochmal anschauen werde – ich habe das Gefühl, dass ich beim ersten Mal längst noch nicht alles gesehen habe.

Story: Markus Becker

Fotos: Nathan Ishar

Suche